38. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“

Es gibt stärkende und nährende Momente in der Arbeit gegen Diskriminierung, Ausbeutung und strukturelle Ungleichheit. Es gibt konkrete Erfolge. Und es gibt bittere Ernüchterungen. In diesen Wochen war das wieder sehr präsent, wenn ich auf unsere Arbeit bei adis e.V., den Trägerverein dieses Netzwerks, schaue.

Wir haben über den Erfolg der von unserer Beratungsstelle mira unterstützten georgischen Saisonarbeiter*innen berichtet, die bis heute auf einen Großteil ihres Lohns warten, der ihnen für ihre Arbeit auf einem Obsthof am Bodensee zu steht[1]. Wie wir aus unserer Arbeit wissen, leider eine alltägliche Situation. Besonders daran war nur, dass sich die georgischen Kolleg*innen dagegen gewehrt haben, in die Öffentlichkeit gegangen sind und eine Klage eingereicht haben.

In erster Instanz hatten sie zum großen Teil Recht bekommen. Das Gericht entschied, dass der Landwirt hätte nachweisen müssen, dass sie nicht – wie er behauptet hat – jeden Tag für die Arbeit zur Verfügung standen. Hätte dieses Urteil Bestand, hätte das weit über den Fall hinaus Auswirkungen für den Kampf gegen Arbeitsausbeutung von Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft. Aber das Landgericht hat nun signalisiert, dass es die Beweislast bei den Saisonarbeiter*innen selbst sieht. Da fast alle Kolleg*innen inzwischen wieder in Georgien leben, wäre dieser Nachweis mit einem zu großem Aufwand und Prozesskostenrisiko verbunden. So haben sie nun einem Vergleich zugestimmt, um wenigstens einen kleinen Teil des ausstehenden Lohns zu bekommen[2].

Sowohl für diesen mutigen Kampf der georgischen Kolleg*innen als auch für die Durchsetzung von Gerechtigkeit eine bittere Niederlage. Der Landwirt kam am Ende damit durch, den Lohn nicht komplett auszuzahlen.

Über die per Crowdfunding gesammelten Gelder können wir einen kleinen Teil des entgangenen Lohns noch ausgleichen, aber die entscheidende Aufgabe muss jetzt sein, Druck auf die Politik auszuüben, dass diese Schutzlücke geschlossen wird. Es kann nicht sein, dass die die Arbeiter*innen in der Landwirtschaft schlechter geschützt sind als (und dies auch erst seit kurzem und viel zu spät) in der Fleischwirtschaft?

Es ist umso wichtiger, sich in diesen Momenten der Enttäuschung zu erinnern an Momente, die wir gefeiert haben und die uns über diesen Moment hinaus Kraft für unsere Arbeit geben können. Über das Jugend-Hiphop-Empowermentprojekt TALK haben wir hier auch schon des Öfteren berichtet. Im letzten Sommer gab es mit „Hiphop meets Classic“ eine besondere Kooperation zwischen dem TALK Projekt und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, die nun multimedial aufbereitet in einem Mitschnitt sowie in einzelnen Clips nachgeschaut werden kann. Es lohnt sich. Die Links gibt es hier im Newsletter.

Auch beim Schwerpunkt dieses Newsletters „Solidarität mit der Revolution im Iran“ liegen Niederlagen und Erfolge unvorstellbar nahe beieinander und überlagern sich immer wieder. Auf der einen Seite der Mut und die Entschlossenheit der Aktivist*innen sowohl im Iran, aber auch in der fast ausschließlich von der iranischen Community getragenen Solidaritätsbewegung hier in Europa und weltweit.  Auf der anderen Seite die Härte der Repression des iranischen Regimes und die Enttäuschung über ausbleibende Maßnahmen der westlichen Regierungen, aber auch die sehr zurückhaltende Solidarität in der westlichen Linken. Wir haben zu diesem Schwerpunkt einige Artikel zusammengestellt. Herzlichen Dank an Farah und Claus Melter für die Unterstützung. Ein besonderer Dank an Farah Melter für den Gastkommentar.

Andreas Foitzik

[1] https://adis-ev.de/pressemitteilung-zu-dem-rechtsstreit-der-24-georgischen-saisonarbeiterinnen

[2] https://www.schwaebische.de/regional/bodensee/friedrichshafen/streit-um-lohnzahlungen-erntehelfer-und-landwirt-einigen-sich-1317892 oder https://twitter.com/jo_seuf/status/1617500280991408130

 

Download 38. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – Januar 2023:
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Das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen.

Das Netzwerk informiert mit diesem Newsletter Interessierte in Abständen von circa zwei Monaten über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen in den Feldern der Rassismuskritik und Migrationspädagogik.

Der Newsletter erreicht bundesweit über 2000 Adressen und wird weitgehend ehrenamtlich erstellt. Die Auswahl der Beiträge lebt auch von den Empfehlungen (info@rassismuskritik-bw.de), die bei uns eingehen, und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Redaktion: Andreas Foitzik, Axel Pohl und Sabine Pester