Cover 41. Newsletter

41. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“

Paul Mecheril schreibt in seinem Gastkommentar: „Vielleicht verlangt die Zeit des Krieges für die, die ihn beobachtend und kommentierend erleiden, das eigene Wissen weniger als Instrument der Anklage einzusetzen und stärker als suchendes, bescheidenes, gleichwohl entschiedenes Angebot zum wechselseitig aufklärenden Gespräch bereit zu stellen. Vielleicht. Wie kann es gelingen? Wie kann es in einer Weise gelingen, die nicht auf das gute Gefühl derer beschränkt ist, die kommentieren und beobachten, sondern einen Beitrag zu weniger Grausamkeit leistet? Überall.“

Doch was bedeutet dies für eine Pädagogik in Zeiten des Krieges? Wie mächtig aktuelle gesellschaftliche und politische Diskurse in pädagogische Handlungsfelder hineinwirken, lässt sich in diesen Tagen und Wochen wieder eindrücklich sehen. Dies insbesondere dann, wenn diese Diskurse keine Zwischenräume zulassen, wenn sie zu Bekenntnis und Loyalität auffordern, wenn sie nicht auf Verstehen, sondern auf Rechthaben ausgelegt sind.

Wie viel wurde in den letzten Wochen zu der unerträglichen (und auch dieses Wort wirkt bereits abgedroschen, bleibt aber wahr, auch wenn ich es wie viele ja am Ende ja doch ertrage) Eskalation (und ist nicht auch dieses Wort schon wieder eine Verharmlosung) in Israel und Gaza geschrieben.

Wie viele Texte, die sich mehr pflichtschuldig als sich einlassend auf das Ausmaß der Gewalt vom Terror der Hamas distanzieren, um ihn dann so zu kontextualisieren, dass es zu einer Täter-Opfer-Umkehr wird. Wie viele Texte, die zwar die jahrzehntelange gewaltvollen Politik der israelischen Regierung kritisieren, aber jede Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte reflexartig als antisemitisch zurückweisen.

Paul Mecheril beschreibt, wie Bekenntniszwang zunehmend das Denken ersetzt. Auch der Einwurf der Journalistin Beate Selders kritisiert die Distanzierungsaufforderungen als rassistisch. Wie kann in solch einer Atmosphäre Pädagogik gelingen?

Wir haben in diesem Newsletter einige Texte zusammengestellt, in denen Pädagog*innen berichten, wie sie sich diesem Bekenntniszwang widersetzen. Wie sie stattdessen zweifellos herausfordernde pädagogische Konfrontationen versuchen, als pädagogische Chance zu nutzen. Wie sie in Beziehung gehen, statt sich zu distanzieren von ihren Schüler*innen und Klient*innen. Wie sie darin auch scheitern, aber es versuchen.

Wir brauchen dringend Räume, in den wir wieder üben, miteinander zu sprechen. In denen wir auf Positionen des Gegenübers, auch wenn wir sie in einer emotional angespannten Situation nur schwer ertragen, mit „und“ und nicht nur mit „aber“ reagieren. In denen wir davon ausgehen, dass wir nicht immer verstehen können, wie die*der Andere zu dieser Position kommt. Wir müssen uns als Pädagog*innen nicht „neutral“ verhalten, um mit allen in Kontakt zu bleiben. Wir können mit beiden (und noch mehr) Seiten so in Kontakt gehen, dass wir lernen, den „Schmerz der anderen (zu) begreifen“ (Charlotte Wiedemann). Wir können eine Position zurückweisen, können Gewalt ablehnen und uns trotzdem für die Menschen interessieren. Das ist keine besondere menschliche Geste, sondern schlicht der professionelle Auftrag. Auch wenn er uns in dieser aufgeladenen Situation schwer gemacht wird.

Das Perfide in diesen Tagen und Wochen ist auch, dass der Diskurs um Israel benutzt wird, um eine weitere gnadenlose und menschenrechtswidrige Verschärfung des Migrationsregimes zurechtfertigen. Wir drucken daher in diesem Newsletter den Aufruf „Solidarität ist keine Sonntagsrede“, der von medico international und anderen Menschenrechtsorganisationen initiiert wurde und dem wir uns als Netzwerk gerne angeschlossen haben.  Darin heißt es zum Schluss: „Wir stellen uns – überall, wo wir können – gegen die autoritäre Verschiebung. Wir lassen uns nicht spalten. Wir setzen uns gleichermaßen gegen Rassismus und Antisemitismus ein und kämpfen gemeinsam für unsere Rechte. Wir lassen uns die offene Gesellschaft und die in ihr erkämpften Rechte nicht nehmen. Unsere Solidarität ist und bleibt unteilbar.“

 

Wie immer bedanken wir uns bei allen, die uns mit Hinweisen auf Texte, Kampagnen und Termine geholfen haben, diesen Newsletter zu füllen.

Passt aufeinander auf.

Andreas Foitzik

Download 41. Newsletter „Rassismuskritische Migrationspädagogik“ – November 2023:

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Das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg versteht sich als Forum von Menschen aus den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Bildung/Weiterbildung, Hochschule sowie angrenzenden Professionen, die sich fachlich und (fach-)politisch in den Feldern Soziale Arbeit, Schule, Weiterbildung – und auch darüber hinaus – einmischen und dort Rassismus selbststärkend, reflexiv-kritisch und wenn nötig auch skandalisierend zum Thema machen.

Das Netzwerk informiert mit diesem Newsletter Interessierte in Abständen von circa zwei Monaten über aktuelle Entwicklungen, Veranstaltungen und Publikationen in den Feldern der Rassismuskritik und Migrationspädagogik.

Der Newsletter erreicht bundesweit über 2000 Adressen und wird weitgehend ehrenamtlich erstellt. Die Auswahl der Beiträge lebt auch von den Empfehlungen (info@rassismuskritik-bw.de), die bei uns eingehen, und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Redaktion: Andreas Foitzik, Sabine Pester und Axel Pohl